Die Macht der inneren Bilder
Die Macht der inneren Bilder
Wie die Mitarbeiterzufriedenheit den wirtschaftlichen Erfolg messbar steigert.
Wir haben 84 Jahre gebraucht, um einen Jahresumsatz von einer Milliarde Euro zu erreichen“, erzählte mir Prof. Gunther Olesch, Geschäftsführer für Personal des Automatisierungsherstellers Phoenix Contact. Dann veränderte sich die Umsatzkurve steil nach oben. Nachdem das Unternehmen das Wohlergehen der 12.000 Mitarbeitenden in den Fokus der Firmenstrategie nahm, erreichte es innerhalb von fünf Jahren einen Jahresumsatz von 1,6 Milliarden Euro.
Der Wandel bei Phoenix Contacts markiert einen beginnenden Paradigmenwechsel in der deutschen Unternehmenslandschaft: Zahlreiche Chefs erschaffen gerade Führungskulturen, in der die Mitarbeiter die in ihnen liegenden Potenziale besser entfalten können.
Ohne einen grundlegenden Kulturwandel wird es womöglich auch nicht gelingen, die Herausforderungen des wachsenden Drucks zu meistern, denen sich viele Firmen heutzutage stellen müssen. Allein der Konzern Unilever hat in seiner Konzernzentrale mit 1.100 Beschäftigten jährliche Gesamtkosten von sieben Millionen Euro für psychische Erkrankungen errechnet. Auch hat für viele Unternehmen die wirtschaftliche Komplexität Höchststände erreichet, wie eine kürzlich veröffentlichte IBM-Studie nach der Befragung von weltweit 1.500 CEOs belegt.
Die nordische Hotelkette Upstalsboom jedoch ist ein weiteres Beispiel des Gelingens. Das Unternehmen hat innerhalb von vier Jahren einen Kulturwandel geschafft: Während die Krankentage zwischen 2009 und 2013 um 80 Prozent sanken, verdoppelte sich der Umsatz und die Gewinnmarge stieg um 40 Prozent. Ähnliche Ergebnisse konnte ich in vielen Firmen mit aussergewöhnlich erfolgreichen Unternehmenskulturen beobachten, die ich untersuchte. In den fünf Jahren meiner Forschung fielen mir immer wiederkehrende Erfolgsmuster auf. Sie verhalfen den Unternehmen zu zufriedeneren Mitarbeitern und letztlich zu besseren wirtschaftlichem Kennzahlen. Einige davon möchte ich mit Ihnen teilen.
Die besten Chefs sind authentische Vorbilder
Man weiß aus der modernen Hirnforschung, dass das menschliche Gehirn durch sogenannte Neuroplastizität ständig neue Strukturen bildet. Menschen können daher ein Leben lang neue Gedanken, neue Verhaltensweisen und neue Fähigkeiten entwickeln. Neuroplastische Veränderungen werden jedoch nicht durch Dienstanweisung und Zwang angestoßen, sondern eher durch Einladung, Ermutigung und Inspiration. Viele Unternehmen erleben regelmässige Reorganisationen, Change Projekte oder neue Initiativen. Doch wie groß ist die Bereitschaft zu weiterer Veränderungen der Belegschaft?
Dass Anweisungen aus der Führungsebene noch lange keine Veränderungen im Unternehmen mit sich bringen müssen, hatte der Upstalsboom-Geschäftsführer Bodo Janssen im Jahr 2009 nach dem desaströsen Ergebnis einer Mitarbeiterumfrage erlebt. Janssen, der das Unternehmen nach dem unerwarteten Tod seines Vaters plötzlich alleine leitete, wollte etwas verändern – doch wie? „Nur weil Herr Janssen als neuer Chef alles anders machen will, lasse ich mich doch nicht sofort darauf ein“, erzählte mir damals eine leitende Mitarbeiterin. Der Chef entschied, bei sich selbst zu beginnen. Er zog sich mehrfach in ein Kloster zurück, setzte sich regelmässig neue Verhaltensziele und arbeitete an seiner Persönlichkeit.
„Wir beobachteten, dass Herr Janssen nicht nur redet, sondern dass er es auch so meint“, erzählte mir später eine Mitarbeiterin aus der Zentrale. Eine Kollegin aus einem seiner Hotels ergänzte: „Ich hätte nicht damit gerechnet, dass Bodo Janssen ernsthaft einen neuen Weg verfolgt. Das fällt jedem von uns auf. Daher vertrauen wir ihm auch so.“
Um dieses Erfolgsmuster zu nutzen, brauchen Unternehmen bei Neurekrutierungen und internen Beförderungen Kandidaten mit dem ehrlichen Willen zu persönlichem Wachstum. Denn Menschen, die eigene herausfordernde Phasen gemeistert haben, tragen die Referenzerfahrung von Veränderung bereits in sich. Diese Qualität verleiht Führungskräften eine authentische Vorbildfunktion – das konnte ich in den von mir untersuchten Unternehmen immer wieder erkennen.
Der Glaube an Mitarbeitende versetzt Berge
„Das große Vertrauen unseres Chefs hat unser Selbstvertrauen wachsen lassen“, erzählte mir die Lernende Lisa Timeus, die beim Arzneimittel- und Kosmetikherstellers Weleda eine Ausbildung macht. Die Geschäftsführung hatte ihren Auszubildenden den Vorschlag genehmigt, eine eigene Juniorfirma zu gründen. Diese entwickelten ein eigenes Produkt (eine Seife mit dem Namen Sonnenschatz), verkauften den gesamten Bestand – und verbesserten nahezu nebenbei die Geschäftsbeziehung zu einem wichtigen Handelspartner. „Ich habe in der Vergangenheit festgestellt, dass Mitarbeitende zu ungeheuren Leistungen fähig sind, wenn man ihnen vertraut und passende Freiräume lässt“, berichtet CEO Ralph Heinisch.
Das Muster ist nicht unbekannt: In einem Experiment untersuchte der Wissenschaftler Robert Rosenthal, welchen Einfluss der „Glaube“ eines Lehrers an seine Schüler hat. Mit Intelligenztests maß er den Status Quojedes Schülers. Rosenthal wählte zufällig 20 Prozent der Schüler aus und behauptete (unbegründet) gegenüber dem Lehrer: „Diese Schüler sind besonders begabt“. Der Glaube des Lehrers an das geistige Potenzial der Genannten ließ diese tatsächlich über sich hinaus wachsen: Bereits nach nach einem Jahr erzielten sie signifikant bessere Ergebnisse bei den Intelligenztests als ihre Mitschüler.
Ähnlich erging es den Mitarbeitern des Österreichischen Sondermaschinenherstellers Hammerschmid: „Der Glaube unseres Chefs an uns beeinflusste uns so sehr, dass wir selbst irgendwann einen festen Glauben an uns und unsere Fähigkeiten entwickelten“. Firmenchef Hammerschmid ergänzt: „Ich glaube, dass es sich für jedes Unternehmen mehrfach auszahlt, wenn man die Entwicklung der Menschen in den Mittelpunkt stellt“. Seine Belegschaft entwickelte ein Elektromotorrad, das in vielen Aspekten namhaften Produkten technisch überlegen ist – und das für einen Bruchteil der marktüblichen Entwicklungskosten.
Um dieses Erfolgsmuster zu nutzen, sollten Unternehmen Führungskräfte fördern, die es schätzen, wenn Mitarbeiter kompetenter sind als sie selbst. Solche Menschen können durch Maßnahmen der Personalentwicklung gefördert werden, damit sie eine innere Haltung entwickeln, ihre Mitarbeiter über sich (selbst) hinaus wachsen zu lassen. Zweitens könnten Firmen durch Maßnahmen der Organisationsentwicklung die Rahmenbedingungen und die Kultur des Unternehmens beeinflussen, damit „Glaube und Vertrauen in die eigene Mannschaft“ zu einem authentisch gelebten Wert wird.
Sinnhaftigkeit entfesselt verborgene Kräfte
Die Biobäckerei Märkisches Landbrot aus Berlin hat es leicht: Das Unternehmen ist für seine hohen ökologischen und sozialen Standards bekannt – und davon profitieren Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartner gleichermaßen. Verkaufsleiterin Sabine Jansen erzählte mir begeistert: „Ich verkaufe nicht nur unser Brot, sondern den Geist des Unternehmens.“ Dem Biobäcker geht es wirtschaftlich so gut, dass er schriftlich verfügt hat, dass sein Gewinn eine bestimmte Grenze nicht überschreiten darf – eher sollten die Löhne erhöht werden.
Doch wie entsteht Sinnhaftigkeit in der Belegschaft von Unternehmen mit traditionellen Geschäftszielen? Die Erkenntnis, dass Wertschätzung eine große Rolle spielt, überrascht nicht – die Deutlichkeit, mit der Wertschätzung die Motivation der Mitarbeiter steigert, hingegen schon: In einer Studie des Massachusetts Institute of Technology im Jahr 2008 wurde einer Testgruppe ein hohes Maß an Anerkennung und Beachtung für das Ergebnis der eigenen Arbeit geschenkt, während die Arbeitsergebnisse der Kontrollgruppe ignoriert wurden. Das Resultat war frappierend: Die Teilnehmer, die durch Anerkennung und Wertschätzung einen Sinn in ihrer Arbeit sahen, zeigten eine dreimal höhere Leistungsbereitschaft!
Um dieses Erfolgsmuster zu nutzen, sollten Unternehmen regelmässiges Feedback kultivieren. Dadurch steigt nicht nur die Beziehungsqualität in der Belegschaft. Anerkennung und Wertschätzung prägen zunehmend die Beziehung zwischen Chef und Mitarbeitern – die subjektiv erlebte Sinnhaftigkeit und die Arbeitsergebnisse verbessern sich.
Der Hosenhersteller Gardeur setzte während eines grossen internen Reflexionsprozesses im Jahr 2010 auf die Verbesserung der Feedback-Kultur. „Unsere Verbundenheit untereinander hat sich immens verbessert “, erzählt mir Christina Esser. Sie leitet die Qualitätssicherung des Unternehmens. „Vorher lebten wir Mitarbeiter wie auf Inseln. Jetzt arbeiten wir alle viel besser zusammen“. Personalchefin Anja Kiehne reflektiert: „Wir sind unserem Wunsch nach ‚mehr Team’ einen großen Schritt näher gekommen“. Der Jahresüberschuss von Gardeur hat sich seitdem vervierfacht.